BSG Urteile zur Sozialversicherungspflicht von Minderheitsgesellschaftern
I. Die Kernpunkte kurz zusammengefasst:
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Mit drei neuen Urteilen vom 11.11.2015 (Az. B 12 R 2/14; B 12 KR 13/14; B 12 KR 10/14 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass die gängige Praxis von Stimmbindungsvereinbarungen zwischen den Gesellschaftern außerhalb von Gesellschaftsverträgen nicht geeignet ist, eine Sozialversicherungspflicht von Minderheitsgesellschaftern zu vermeiden.
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Minderheitsgesellschafter sind grundsätzlich nur dann sozialversicherungsfrei, wenn sie keinerlei Weisungen unterliegen, was bereits im Gesellschaftsvertrag verankert sein muss.
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Das gilt für sämtliche Minderheitsgesellschafter, egal ob diese Geschäftsführer, leitende Angestellte, Prokuristen etc. sind.
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Gesellschaften, die Stimmbindungsvereinbarungen getroffen haben oder in deren Satzung nur eingeschränkte Mitbestimmungsrechte zugunsten der Minderheitsgesellschafter vorgesehen sind, sollten unverzüglich handeln. Es drohen hohe Nachzahlungen.
II. Ihre Ansprechpartner
Gerne beraten wir Sie im Hinblick auf die für Ihre Situation passende Lösung. Als Ansprechpartner bei RSW stehen Ihnen zur Verfügung:

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Simon Otto
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Dozent für die Ausbildung der Rechtsreferendare am Landgericht Ravensburg

Rolf Hack
Steuerberater
Diplom-Ingenieur
Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)

Dr. Reinhard Gawatz
Steuerberater
Diplom-Volkswirt
Magister Artium
III. Die ausführliche Problematik:
Um die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht für Minderheitsgesellschafter zu erreichen, wurden bislang regelmäßig (was auch von vielen Landessozialgerichten anerkannt war) sog. Stimmbindungsvereinbarungen abgeschlossen, worin die Gesellschafter untereinander vereinbarten, künftig nur noch einstimmig abstimmen zu können, um hierdurch eine sog. Sperrminorität zu erzielen, dem Minderheitsgesellschafter also das Recht einzuräumen, unliebsame Beschlüsse zu verhindern, d. h. „zu sperren“.
1.
Hintergrund ist der, dass die Sozialversicherungspflicht daran anknüpft, ob die Beschäftigung selbstständig ist oder nicht. Maßgebliche Kriterien sind Weisungsgebundenheit sowie Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Gesellschaft, also der Umfang der persönlichen Abhängigkeit des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft bei Ausübung seiner Tätigkeit. Sozialversicherungsfreiheit besteht, wenn der Gesellschafter maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft nehmen kann (gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht), wobei regelmäßig zu beachten ist, dass der GmbH-Geschäftsführer den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt.
Ein Gesellschafter, der mind. 50% des Stammkapitals hält, unterliegt vor diesem Hintergrund regelmäßig keinen Weisungen, da entsprechende Weisungs-Beschlüsse regelmäßig nur unter eigener Beteiligung möglich sind.
Gesellschafter, die aber weniger als 50% des Kapitals halten, so das BSG, unterliegen mangels Einflussmöglichkeit auf Gesellschaftsbeschlüsse Weisungen und sind deshalb grundsätzlich als nicht selbstständig und damit sozialversicherungspflichtig anzusehen, es sei denn, sie verfügen über eine Sperrminorität, die ihnen erlaubt, unliebsame Weisungen der Mehrheitsgesellschafter abzuwenden.
2.
Bis zum Erlass vorgenannter Urteile wurden zur Schaffung solcher Sperrminoritäten regelmäßig Stimmbindungsverträge geschlossen, welche durch entsprechende Vereinbarung der Gesellschafter dem Minderheitsgesellschafter genau diese Rechte einräumten.
Dieser gelebten Praxis wurde nunmehr in gleich drei Urteilen vom BSG eine klare Absage erteilt. Demnach sind Stimmbindungsvereinbarungen, wenngleich dies in der Praxis bislang geläufig und von den Sozialversicherungsträgern auch regelmäßig anerkannt war, „gesellschaftsrechtlich unwirksam und sozialversicherungsrechtlich ohne Belang.“
Als Argument wird angeführt, dass die rein privatschriftliche Vereinbarung nur in guten Zeiten ein probates Mittel zur Abwendung unliebsamer Weisungen sei - in Konfliktsituationen können die Mitgesellschafter diese Regelung schließlich (insbesondere durch Kündigung) jederzeit außer Kraft setzen. Das BSG bezeichnet die so geschaffene Stellung demgemäß als „Schönwetter-Selbstständigkeit“ ohne Relevanz auf die Sozialversicherungspflicht.
Dies gilt selbst dann, wenn diese Verträge notariell beglaubigt sind. Vielmehr muss eine solche Bestimmung zur Sperrminorität zwingend in den Gesellschaftsvertrag (Satzung) aufgenommen werden. Nur so können nicht genehme Beschlüsse vom Minderheitsgesellschafter abgewendet und die erforderliche gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht hergestellt werden.
IV. Konsequenz:
In Folge dieser Urteile mehren sich Fälle, in denen Betriebsprüfer bei Gesellschaften, in denen Gesellschafter unter 50 % der Anteile halten, teils erhebliche Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen für Minderheitsgesellschafter erheben. Dabei können die Sozialversicherungsträger die Zahlungen innerhalb der Verjährungsfrist des § 25 SGB IV (4 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem sie fällig geworden sind - d.h. für einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren) rückwirkend nachfordern. Hinzu kommt das Risiko eines Säumniszuschlags in Höhe von 1% des rückständigen Betrages für jeden angefangenen Monat der Säumnis (vgl. § 24 Abs. 1 SGB IV) sowie das Risiko der Strafbarkeit, da das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB grundsätzlich strafbar ist.
Auf Vertrauensschutz können sich betroffene Gesellschaften wohl nicht berufen. Als Argument wird insoweit vorgebracht, mit dem sog. Statusfeststellungsverfahren habe grundsätzlich jederzeit eine kostenfreie Möglichkeit zur Verfügung gestanden, einen verbindlichen Feststellungsbescheid über die Sozialversicherungsfreiheit zu erwirken, vgl. § 7a SGB IV. Dies dürfte selbst dann gelten, wenn der gleiche Sachverhalt bei einer vorherigen Betriebsprüfung unbeanstandet blieb. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein rechtskräftiger Statusfeststellungsbescheid vorliegt, der ungeachtet der zugrundeliegenden Stimmbindungsverträge zum Ergebnis der Selbstständigkeit und einhergehender Sozialversicherungsfreiheit kommt.
V. Handlungsmöglichkeit / Handlungsbedarf
In jedem Falle sollte überprüft werden, ob, in welcher Form und in welchem Umfang Sperrminoritäten zugunsten von Minderheitsgesellschaftern wirksam vereinbart sind. Diese sind in ausreichendem Umfang zwingend in die Satzung aufzunehmen, ggf. empfiehlt sich die Satzungsänderung. Dem Minderheitsgesellschafter muss möglich sein, mit seinen Stimmen unliebsame Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Die Aufnahme solcher (umfassender) Sperrminoritäten in der Satzung wurde vom BSG in den zitierten Entscheidungen ausdrücklich anerkannt.
Mit nachstehender Tabelle können Sie sich eine schnelle Übersicht verschaffen, ob Handlungsbedarf in Ihrem Fall besteht oder nicht:
Kapitalanteil / Rechtsmacht |
Sozialversicherungspflicht |
Kapitalanteil: mind. 50% |
Regelmäßig keine Sozialversicherungspflicht |
Kapitalanteil: < 50% aber umfassende Sperrminorität im Hinblick auf unliebsame Weisungen in der Satzung |
Regelmäßig keine Sozialversicherungspflicht |
Kapitalanteil: < 50% und keine Sperrminorität im Hinblick auf unliebsame Weisungen in der Satzung aber privatschriftlicher Stimmbindungsvertrag |
Sozialversicherungspflicht besteht dennoch (vgl. BSG-Urteile vom 11.11.2015) |
Kapitalanteil: < 50% und keine Sperrminorität in der Satzung und kein Stimmbindungsvertrag |
Sozialversicherungspflicht besteht |
VI. Ergebnis
Handlungsbedarf besteht zusammenfassend in jedem Falle dann, wenn Sie die Sozialversicherungsfreiheit bislang auf privatschriftliche Stimmbindungsvereinbarungen stützen oder wenn in Ihrer Satzung nur eingeschränkte, nicht aber umfassende Sperrminoritäten zugunsten des Minderheitsgesellschafters vorgesehen sind.
Mit vergleichsweise geringem Aufwand lässt sich auch für Minderheitsgesellschafter die Sozialversicherungsfreiheit erreichen, ohne dass die Belange der Gesellschaft selbst darunter leiden.